Der Lift war eine Etage zu tief abgesunken und stoppte im Keller des Münchner Messegeländes. Und da standen wir nun, Franz Beckenbauer, ein Kollege und ich, und plauderten. Plötzlich kam ein Hausmeister um die Ecke, und ehe der gute Mann irgendetwas sagen konnte, ging Beckenbauer, "der Kaiser", freundlich auf ihn zu und begrüßte ihn herzlich.
Ein paar Jahre später, Interview mit Beckenbauer in Nürnberg. Als die Fragen der drei kicker-Vertreter beantwortet sind, erblickt Beckenbauer im sonst leeren Raum an einem Tisch gegenüber vier ältere Damen beim Frühstücksplausch. Statt den kurzen Weg zur Ausgangstür zu wählen, durchschritt er den riesigen Saal und stand vor ihnen.
"Guten Morgen, meine Damen!" Den verdutzten Fränkinnen war eine Erscheinung widerfahren, eine überirdische: "Oh, der Beckenbauer", ja, "der Kaiser" persönlich hatte jeder die Hand geschüttelt und sie damit wohl für den Rest ihres Lebens glücklich gemacht.
Beckenbauer hat in seinem Leben so viele Berühmtheiten dieser Welt kennengelernt, doch ob ihn nun Papst Benedikt XVI., politische Persönlichkeiten wie die Bundeskanzlerin Angela Merkel, Showstars wie Frank Sinatra, Mick Jagger oder Udo Jürgens freundschaftlich umarmten oder Sportgrößen wie Muhammad Ali oder Pelé - Beckenbauer waren alle Menschen gleich wichtig und wertvoll.
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Ein Mann für Jedermann
Man musste nur beobachten, wie liebevoll er die insgesamt 16 Buchstaben seines Vor- und Zunamens für die zahllosen Autogrammjäger aufmalte.
Selbst der grantig wirkende Beckenbauer wurde immer vom charmanten verdrängt. "Was willst'n scho' wieder, Wadlbeißer?", raunzte er in seiner Zeit als Bayern-Präsident zur Begrüßung bayerisch ins Telefon, um anschließend bereitwillig alle Fragen zu beantworten - und intensiv über Fußball zu reden.
Langjährige Wegbegleiter wie Uwe Seeler, Günter Netzer, Rudi Völler oder Wolfgang Niersbach erzählen sehr persönlich von ihren Erlebnissen mit Franz Beckenbauer, Uli Hoeneß schreibt über den Funktionär und Alleskönner, Pelé sagt im Interview: "Franz ist mein deutscher Bruder": 2015 erschien das kicker-Sonderheft "Legenden & Idole Franz Beckenbauer" (hier im kicker-Shop) mit Kolumnen und Reportagen sowie über 200 faszinierenden Fotos.
So war es auch Ende April 2003, als wir uns beim "Stanglwirt" in Kitzbühel zum Gespräch über 40 Jahre Bundesliga trafen. Beckenbauer hatte Zeit, wetterte zunächst gegen die FIFA und drohte sogar mit seinem Rücktritt als Chef des WM-Organisationskomitees 2006, ehe er launig die amüsantesten Geschichten aus seiner Bundesliga-Zeit erzählte - von den Anfängen, als er mit Tennisbällen auf Kellerfenster kickte: "Da musst schon aufpassen, auf deine Zehenkapperl, dass sie dir nicht runterhängen, wenn du in den Boden reinhaust."
So redete Beckenbauer im O-Ton. Und er erzählte von jenem seltsamen Befehl, den er als Bayern-Trainer 1993/94 dem Brasilianer Jorginho zur Halbzeit gegen Wattenscheid erteilt hatte: "Befehl! Du schießt ab sofort jeden Eckball hinters Tor!" Damit sollten die ständigen Konter nach Standards gestoppt werden. "Jorginho hat mich angeschaut, als wäre ich nicht ganz normal." Was für ein herrlicher Erzähler dieser Beckenbauer sein konnte!
Diese Würdigung erschien in Teil 1 unserer Reihe "Legenden & Idole" (2015).