WM

Frau im Liegestreik: Als Panama komplett verrückt spielte

Groteske Szenen beim WM-Qualifikationsspiel gegen Costa Rica

Frau im Liegestreik: Als Panama komplett verrückt spielte

Das Phantom-Tor: Blas Perez (#7) wird es letztlich gutgeschrieben bekommen.

Das Phantom-Tor: Blas Perez (#7) wird es letztlich gutgeschrieben bekommen. Getty images

Die Ausgangslage vor dem letzten Spieltag in der WM-Qualifikation ist alles andere als günstig an diesem Oktobertag 2017. Panama muss gegen Costa Rica gewinnen, die USA muss bei Trinidad & Tobago patzen. In dem 3,8 Millionen Einwohner zählenden Land (etwa so viele wie Rom) herrscht der Ausnahmezustand. Eine WM mit Panama - das wär's!

Das Tor, das keines war

Und der Fußballgott meint es an diesem Tag mehr als gut mit den gastgebenden Mittelamerikanern. Oder einfach nur der Schiedsrichter? Die erste groteske Szene spielt sich jedenfalls in der 53. Minute ab. Nach einer Ecke kommt Mittelstürmer Blas Perez beim Stand von 0:1 am langen Pfosten an den Ball. Panamas Angreifer will das Leder gerade ins leere Tor schießen, da wird er zu Fall gebracht. Elfmeter gibt's aber nicht, stattdessen hoppelt der Ball an den Pfosten und bleibt direkt vor seinem Kopf liegen. Doch den letzten Stoß, das bisschen Kraft, das noch benötigt wird, um das Leder am Pfosten vorbei und über die Linie zu befördern, kann er nicht aufbringen. Perez will sich nun drehen, um den Ball mit dem Fuß zu erwischen, ehe ihm ein Abwehrspieler Costa Ricas das Leder wortwörtlich vor der Nase weggrätscht. Perez wird angeschossen, der Ball kullert am Aluminium vorbei ins Toraus.

Spielersteckbrief Perez
Perez

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Spielersteckbrief R. Torres
R. Torres

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Weltmeisterschaft - Vorrunde, 1. Spieltag
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Vorbei? Ansichtssache - denn der Schiedsrichter entscheidet auf Tor! Oder besser gesagt auf "Phantomtor". Eine fatale Fehlentscheidung, die Panama den Weg zur ersten WM-Teilnahme ebnet. Denn in der 88. Minute schießt der aufgerückte Innenverteidiger Roman Torres volley zum 2:1 ein.

Panama muss das Ergebnis jetzt nur noch über die Zeit bringen, denn völlig überraschend liegen die USA mit 1:2 bei Trinidad & Tobago hinten. Das würde Platz drei und die sichere WM-Teilnahme bedeuten. 2013 hatten die "Canaleros" die WM in Brasilien schon vor Augen. Panama führte im letzten WM-Qualifikationsspiel gegen die USA bis zur 90. Minute mit 2:1. Doch in der Nachspielzeit trafen die US Boys noch zweimal, die WM-Play-offs gegen Neuseeland waren futsch.

Die Drei-Minuten-Feier

Dieser Alptraum soll, er darf sich nicht wiederholen - und dafür helfen alle mit. Das Zeitspiel Panamas nach dem 2:1 ist so dreist, das man bei den Bildern unweigerlich zu lachen beginnt. Ehe überhaupt wieder angepfiffen wird, dauert es eine halbe Ewigkeit, Torres' Feier-Arien dauern exakt drei Minuten. Währenddessen brüllen sich die TV-Kommentatoren die Seele aus dem Leib. Referee Lopez Castellano fordert den Spieler mit den auffälligen Dreadlocks schließlich höchstpersönlich auf, endlich über die Werbebande und aufs Spielfeld zu steigen. Klar, dass Torres wegen der Gelben Karte für das Trikotausziehen versucht, den Schiedsrichter in eine Diskussion zu verstricken, ehe der sich genervt abwendet. Ein Spieler legt sich auf den Boden und betet mit dem Ball in der Hand, damit verzögert sich der Wiederanpfiff immerhin noch mal um einige Sekunden.

Der Einwurf, der eine Minute dauerte

20 Sekunden danach befördert ein Panama-Spieler den Ball im Seitenaus. Das ist bitter für Costa Rica: Der Gästespieler will den Ball gerade in die Hand nehmen, da sprintet ein Panama-Einwechselspieler in die Richtung des Einwerfenden und knallt ihm den Ball vor der Nase weg Richtung Tribüne: Gelbe Karte.

Doch wo ist der Ball überhaupt? Es scheint keinen mehr zu geben im Estadio Rommel Fernández in Panama City. Verrückterweise ist es Panamas Coach Hernan Dario Gomez, der doch noch einen findet und ihn dem Einwerfer in die Hand drückt. Insgesamt dauert es über eine Minute, bis das Spiel fortgesetzt wird.

Der Panama-Fan, dem die Polizei auf die Schulter klopfte

Der lange Einwurf landet im Strafraum. Nach einem Kopfballduell fordert (das übrigens bereits qualifizierte) Costa Rica eine Ecke, bekommt sie aber nicht. Ein Panama-Fan sieht sich das genauer an, er steht bereits an der 16-Meter-Linie, als der Ball 72 Sekunden vor Ende der Nachspielzeit das Toraus überquert. Endlose Diskussionen folgen, dem Referee ist die Situation längst entglitten. Der Panama-Fan unterhält sich unterdessen ein wenig mit Costa Ricas Spielern, dann mit seinen Landsleuten, die ihn freundlich in den Arm nehmen.

Keeper Jaime Penedo würde vielleicht sogar den Abstoß ausführen, doch seine eigenen Mitspieler rücken den Ball nicht raus und schicken ihn zurück ins Tor. Irgendwann gibt Penedo auf und tut, wie ihm befohlen. Ohne Ball. Drei Polizisten haben sich inzwischen den Panama-Fan gegriffen. Sie grinsen, einer klopft ihm auf die Schulter.

Die "Frau"

Sinnbild für Panamas "Teamwork": Auch diese Anhängerin half beim Zeitschinden.

Sinnbild für Panamas "Teamwork": Auch diese Anhängerin half beim Zeitschinden. Getty Images

Noch nicht grotesk genug? Kein Problem. Inzwischen hat sich nämlich eine ältere Frau mit schwarzer Leinenhose und weißem T-Shirt aufs Spielfeld begeben und ist quasi in den Liegestreik gegangen. "Da ist eine Frau auf dem Spielfeld", schreit der Moderator. "Ja, es ist eine Frau", sagt der andere. Zwei Polizisten sind notwendig, um ihre Mission zu beenden. Sie helfen ihr auf die Beine, bringen sie vom Platz. Doch ihr Plan ist aufgegangen: Zeit schinden. Koste es, was es wolle. Auch die Zuschauer spielen verrückt in diesem verrückten Spiel.

Der zweite Ball

Selfie vom Matchwinner: Roman Torres mit Panamas Fans.

Selfie vom Matchwinner: Roman Torres mit Panamas Fans. Getty Images

Ach ja, da war ja noch der Abstoß. Als Penedo ihn ausführt, ist die Nachspielzeit seit 40 Sekunden vorüber, fast zwei Minuten hat das ganze Theater gekostet. "Was sagt der Schiedsrichter, was sagt der Schiedsrichter? Was sagt der Schiedsrichter?", fragt der Moderator in heller Aufregung. Im Mittelfeld kommt's zum Kopfballduell um einen der beiden Bälle - denn auf wundersame Weise ist von irgendwo her noch einer in die Nähe des Spielballs geschlagen worden. Referee Lopez hat endgültig genug von dem Zirkus. Er pfeift ab.

In Panama City brechen jetzt alle Dämme. "Wir fahren zur WM", brüllen die Kommentatoren unzählige Male. Auf dem Platz brechen die Spieler in Tränen aus, Siegtorschütze Torres und Trainer Gomez führen bei ihrer ersten Begegnung einen Veitstanz auf, fallen sich in die Arme - und bleiben, von den Pressevertretern umzingelt, einfach liegen. Vor den Toren der Stadt brennt ein Feuerwerk ab. Spätestens jetzt muss man bei den Bildern unweigerlich an Janoschs Klassiker denken: Oh, wie schön ist Panama.

Christoph Laskowski

Underdogs und Topfavoriten: Die WM-Teams im Check