3. Liga (D)

3. Liga: Rot-Weiss Essen und der Mut zum Meilenstein

In Essen denkt man wieder an die 2. Liga

"Mit der Wucht der Hafenstraße": RWE und der Mut zum Meilenstein

Klopft oben an: RWE mit Torhüter Jakob Golz.

Klopft oben an: RWE mit Torhüter Jakob Golz. picture alliance / Markus Endberg

Der 20. Mai 2007 war ein Sonntag. Rot-Weiss Essen gastierte beim MSV Duisburg, ein Lokalduell. Die Derbystimmung hielt bei den Essenern aber nicht lange an, denn das 562. ist gleichzeitig auch das bis heute letzte RWE-Punktspiel in der 2. Liga. Nur wenige Monate nach dem 100-jährigen Vereinsjubiläum steigt der Traditionsklub durch ein 0:3 beim MSV zum sechsten Mal aus dem Unterhaus ab.

Seitdem gab es nur noch vier Pflichtspiele gegen die Zebras, zuletzt Ende Oktober vergangenen Jahres. Und auch diese Partie hat Signalwirkung. Denn nach dem Last-Minute-Sieg an der Wedau (2:1) belegt Essen erstmals in dieser Saison Platz 5, arbeitet sich zwischenzeitlich sogar auf Rang 3 vor. Vor dem Heimspiel gegen Unterhaching hat RWE elf Spieltage vor dem Saisonende fünf Punkte Rückstand auf den Relegationsplatz - und damit eine reelle Chance auf den Aufstieg.

Vorschau

Für die Fans ist die 2. Liga nach der Insolvenz 2010 und dem damit verbundenen Abstieg in die fünftklassige Oberliga ein Sehnsuchtsort, dem man nach dem Meistertitel in der Regionalliga 2022 und dem Aufstieg in die 3. Liga erstmals wieder nahekommt. Der Traum lebt also - und die Vereinsführung stellt längst die Weichen dafür.

Wechsel in der Führungsriege: Pfeifer für Uhlig

Daran soll auch der vor wenigen Tagen bekanntgewordene Rückzug des Vorstandsvorsitzenden Marcus Uhlig (53) und von Finanzvorstand Sascha Peljhan (46) nichts ändern. Die beiden eng befreundeten Funktionäre werden spätestens zum Saisonende ausscheiden. Mit Marc-Nicolai Pfeifer (43), zuletzt Geschäftsführer beim Ligakonkurrenten TSV 1860 München und aktuell bei den Löwen noch unter Vertrag, steht der Nachfolger bereits fest. Pfeifer soll mit Marketingvorstand Alexander Rang (45) künftig eine Doppelspitze bilden. "Sechseinhalb Jahre bei RWE sind wie 20 Jahre bei einem anderen Verein. Die zahlreichen Herausforderungen haben Körner gekostet", begründet Uhlig im kicker-Gespräch seine Amtsmüdigkeit trotz des aktuellen sportlichen Erfolges und der zuletzt gelungenen finanziellen Konsolidierung. "Es ist in mir schon seit einiger Zeit die Entscheidung gereift, dass es Zeit wird für einen Wechsel", so Uhlig. Wichtig ist ihm dabei aber eine geordnete Übergabe. "Es wird kein Vakuum entstehen. Bis zum letzten Tag werden Sascha und ich 100 Prozent geben."

Entsprechend würde Uhlig, der früher schon viele Jahre bei Arminia Bielefeld tätig war und dort bereits zwei Aufstiege aus der 3. Liga erlebte, seine Amtszeit nur zu gerne mit der Rückkehr in die 2. Liga krönen. "Alles kann, nichts muss", formuliert der Noch-Vorstandsvorsitzende, seit dessen Amtsübernahme im Jahr 2018 eine stetige sportliche Aufwärtsentwicklung nicht zu übersehen ist. Klar ist: Das offizielle Saisonziel, besser abzuschneiden als in der vorherigen Spielzeit (42 Punkte), ist bereits jetzt erreicht. Nun geht es also nur noch um die Zugabe.

Vom Sündenbock zum Messias: RWE hält an Dabrowski fest

Dass die Rot-Weissen zumindest an den Spitzenplätzen schnuppern dürfen, hat mit vielen richtigen Entscheidungen zu tun. Die vor knapp einem Jahr neu installierte sportliche Führung mit Sportdirektor Christian Flüthmann (41) und Direktor Profifußball Marcus Steegmann (43) hielt im letzten Frühjahr an Christoph Dabrowski fest, obwohl der für einen Teil der Fanszene an der enttäuschenden Rückserie schuld war. Die Kritik ging so weit, dass sogar "Dabrowski raus"-Schals produziert wurden. Gerade einmal neun Monate später werden die RWE-Verantwortlichen jetzt dafür gefeiert, dass es gelang, den Vertrag mit "Dabro" um zwei Jahre zu verlängern.

Christoph Dabrowski (Rot-Weiss Essen) im Spiel gegen Ulm

Engagement an der Seitenlinie: Christoph Dabrowski. IMAGO/pepphoto

Vom Sündenbock zum Messias. Nur an wenigen Fußballstandorten schlagen die Emotionen so stark in beide Richtungen aus wie an der Hafenstraße. Gerade deshalb tut Dabrowski dem notorisch aufgeregten Umfeld des Klubs mit seiner ruhigen Art sehr gut, ist aber auch extrem ehrgeizig. "Wir wollen jetzt auch oben dranbleiben und das Bestmögliche aus dieser Saison herausholen", sagt der Ex-Profi, der vor seiner Vertragsverlängerung über die angedachten Veränderungen im Vorstand informiert war und deshalb zunächst auch ein wenig mit seiner Zusage zögerte. Schließlich geht mit Uhlig ein Vertrauensmann, der dem Trainer auch in schwierigen Zeiten immer den Rücken gestärkt hatte. Der Erfolg gab ihm Recht.

Fixpunkt Sapina ersetzt Bastian

Sehr oft richtig lagen die Essener auch bei ihren Transfers. Vinko Sapina vom SC Verl (28) wurde auf Anhieb zum Fixpunkt und nach der Trennung von Felix Bastians (35) im Herbst sogar zum Kapitän. Lucas Brumme (24) kam als Flügelstürmer vom SV Wehen Wiesbaden und avancierte als Linksverteidiger zum Leistungsträger. Marvin Obuz (22), vom 1. FC Köln ausgeliehen, ist mit 16 Torbeteiligungen der Top-Scorer des Teams. Auch Rechtsverteidiger Eric Voufack (22, 1. FC Lok Leipzig) und Angreifer Leonardo Vonic (20, 1. FC Nürnberg II) erkämpften sich Stammplätze und sorgten mit dafür, dass RWE nach den U-23-Teams aus Freiburg und Dortmund mit einem Durchschnittsalter von unter 24 Jahren die jüngste Stammformation der 3. Liga stellt.

Torhüter Jakob Golz (25) und Innenverteidiger Felix Götze (26) gehören auf ihren Positionen ligaweit zu den stärksten Spielern. Auch die weiteren Abwehrspieler José-Enrique Rios Alonso (23) und Eigengewächs Mustafa Kourouma (21) oder die Mittelfeldmotoren Torben Müsel (24) und Urgestein Cedric Harenbrock (25, seit 2017 im Verein) haben unter Dabrowski große Schritte nach vorne gemacht. Eine wesentliche Aufgabe der sportlichen Leitung wird es daher sein, möglichst viele Stammspieler mit auslaufenden Verträgen zu binden, unabhängig von der künftigen Spielklasse.

Fußball 3. Liga 27.Spieltag , Saison 2023 2024, Dynamo Dresden - Rot-Weiss Essen am 24.02.2024 im Rudolf-Harbig-Stadion in Dresden Ron Berlinski ( Rot-Weiss Essen ) DFB regulations prohibit any use of photographs as image sequences and or quasi-video. *** Soccer 3 Liga 27 Matchday , Season 2023 2024, Dynamo Dresden Rot Weiss Essen on 24 02 2024 at Rudolf Harbig Stadium in Dresden Ron Berlinski Rot Weiss Essen DFB regulations prohibit any use of photographs as image sequences and or quasi video

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Götze will ins Oberhaus - Muss Obuz zurück zum Effzeh?

Schwierig dürfte das vor allem bei Götze und Obuz werden. Ersterer will unbedingt in die 2. Liga, bei Letzterem ist es schwer vorstellbar, dass er wegen der Transfersperre seines Stammvereins keine Rolle in den FC-Planungen spielt, erst recht bei einem möglichen Abstieg. Da wird aus RWE-Sicht viel Geduld gefragt sein.

Zweigleisig laufen auch längst die Planungen im wirtschaftlichen Bereich. Erstmals seit 2007 wird RWE bis zum Stichtag 1. März neben der Zulassung für die 3. Liga beim DFB auch eine Lizenz für die 2. Liga bei der DFL beantragen. Im Aufstiegsfall würden die um das Vier- bis Fünffache höheren TV-Gelder (aktuell 1,3 Millionen Euro) die Planungen erleichtern. "Wir rechnen aber in beiden Verfahren mit keinerlei größeren Schwierigkeiten", meint Dr. André Helf (57), Vorsitzender des Aufsichtsrates. Das ist alles andere als selbstverständlich, nachdem RWE für das Geschäftsjahr 2022, zu dem noch das vorerst letzte Halbjahr in der Regionalliga zählt, ein Minus von 3,63 Millionen Euro und einen Anstieg der Verbindlichkeiten auf 6,4 Millionen Euro ausweisen musste. Dazu hatten unter anderem die Insolvenz des vorherigen Hauptsponsors "Harfid", eines Essener Bauunternehmens, eine ausgebliebene Spende für Neu- und Umbaumaßnahmen im Nachwuchsleistungszentrum (NLZ), gestiegene Personal- und Spielbetriebskosten sowie die Neugestaltung des Trainingsgeländes beigetragen.

Stadion an der Hafenstraße in Essen beim Spiel gegen Ulm

Ausbau unabdingbar: Das Stadion an der Hafenstraße in Essen beim Spiel gegen Ulm. IMAGO/Markus Endberg

Inzwischen aber läuft’s. Die DFB-Auflage, das Geschäftsjahr 2023 mit einem Gewinn von 160.000 Euro abzuschließen, werden die Essener leicht überfüllen. Für den Fall einer weiteren Drittliga- saison kann das Budget mindestens gehalten werden, an einer weiteren Steigerung wird gearbeitet. Möglich wurden viele Investitionen (und der sportliche Erfolg) in den letzten Jahren nur deshalb, weil der Mode-Unternehmer und Noch-Finanzvorstand Sascha Peljhan dem Verein als Anschubfinanzierung ein Darlehen in Höhe von rund drei Millionen Euro zu äußerst günstigen Konditionen zur Verfügung gestellt hatte. Umso wichtiger, dass Peljhan zwar aus dem operativen Geschäft ausscheidet, RWE aber als Darlehensgeber und Sponsor erhalten bleibt.

Hohes Investment ins NLZ an der Seumannstraße

Vor dem Abschluss stehen die Baumaßnahmen im NLZ an der Seumannstraße, wo der Verein eine siebenstellige Summe investiert. Das neue Jugendstadion mit Hybridrasen und überdachter Tribüne wird bis zum Beginn der kommenden Saison fertiggestellt sein. Ein Kunstrasenspielfeld und ein Laufhügel können bereits genutzt werden. Über einen Neubau oder eine Sanierung des Funktionsgebäudes laufen Gespräche mit der Stadt.

Mit der Wucht der Hafenstraße ist einiges möglich.

RWE-Trainer Christoph Dabrowski

Schon einen Schritt weiter sind die Planungen für das Stadion an der Hafenstraße. Noch im März soll sich damit der Essener Stadtrat befassen, ihm liegt ein Antrag zum Ausbau des Stadions von 19.500 Plätzen auf ein Fassungsvermögen von 26.500 Zuschauern vor. Es geht zwar (noch) nicht um die kalkulierten Baukosten in Höhe von knapp 22 Millionen Euro. Dennoch ginge von der Ratsentscheidung, Mittel in Höhe von 950.000 Euro freizugeben, Signalwirkung aus.

Stadionausbau aus diversen Gründen alternativlos

Mit den aktuellen Zuschauer- und vor allem VIP-Plätzen bewegt sich der Verein bei einem aktuellen Schnitt von 16.265 Fans pro Heimspiel am Limit. Um dem Klub die Möglichkeit zu eröffnen, mehr Einnahmen zu generieren (und dann eine höhere Stadionmiete zahlen zu können), ist die Erhöhung der Kapazitäten wohl alternativlos. Dazu weist Oberbürgermeister Thomas Kufen, der für das Projekt wirbt, immer wieder darauf hin, dass nur durch die Erweiterung der Spielstätte auch ein Angebot von mehr als 20.000 Sitzplätzen erreicht werden kann, um wieder bei Länderspielen von Frauen- und Junioren-Nationalmannschaften berücksichtigt zu werden. Außerdem würde auch die SGS Essen, die ihre 20. Saison in der Frauen-Bundesliga absolviert, als zweite Nutzerin profitieren.

Der RWE-Pachtvertrag mit dem Stadioneigentümer GVE (Tochterunternehmen der Stadt) läuft noch bis zum 30. Juni 2027. Die Verhandlungen sind bereits angelaufen. Für RWE wäre es ein Meilenstein. Oder wie sagte doch Trainer Dabrowski: "Mit der Wucht der Hafenstraße ist einiges möglich." Vielleicht sogar die 2. Liga.

Ralf Debat

Die Trainer der 3. Liga für die Saison 2023/24