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Lieblingsspiel: Atletico vs. Barça in der Nacht der langen Bocadillos

Primera Divisiòn, 25. Spieltag, Atletico - Barça, 11. März 1995

Lieblingsspiel: Rochas Raketen - oder: die Nacht der langen Bocadillos

Trotz weniger Gäste-Fans: Deutlich vernehmbares Hufgeklapper vor dem Vicente Calderon.

Trotz weniger Gäste-Fans: Deutlich vernehmbares Hufgeklapper vor dem Vicente Calderon. imago images

Vor rund 25 Jahren ergab sich für mich die Gelegenheit, einen in Alcalá de Henares studierenden Freund zu besuchen. Die Nähe zu Madrid ermöglichte am 11. März den Besuch eines Atletico-Heimspiels, der Gegner war kein Geringerer als der von Johan Cruyff trainierte FC Barcelona. Für die Hausherren - in Verantwortung stand der Argentinier Alfio "Coco" Basile - lief es in der zweiten Saison am Stück ausgesprochen schlecht, die Gäste spielten natürlich oben mit.

Atletico hatte eine Woche zuvor das Kellerduell in Valladolid mit 1:0 gewonnen und sich vor dem Aufeinandertreffen mit Barça einen Mini-Vorsprung von zwei Punkten auf die Abstiegszone erspielt. Die Katalanen reisten als Zweiter mit vier Zählern Rückstand auf Real Madrid in die Hauptstadt und konnten sich kaum weitere Ausrutscher erlauben, um im Titelkampf nicht frühzeitig praktisch chancenlos zu sein. Soviel zur Konstellation an einem kühlen Frühlingsabend.

Reiterstaffel und "Y viva España" - Das Baguette auf der Bierbank

Zur Atmosphäre. Die war brodelnd am Manzanares, der unattraktiv in Beton eingefasst entlang der Haupttribüne vorbeizog. Atleti-Devotionalien allerorten, ein Schal ging an mich und ziert auch heute noch den Arbeitsplatz. Es wurden jedoch auch auffällig viele spanische Nationalflaggen geschwenkt, das "Y viva España" ertönte wiederholt und lautstark. Nicht nur weiter nördlich beim Stadtrivalen Real wurde die Rivalität zum katalanischen Rivalen in dieser Form zum Ausdruck gebracht.

Daten

Die Reiterstaffel der Polizei sorgte auf Asphalt durch deutlich vernehmbares Hufgeklapper in der Menschenmenge vor dem Stadion für Respekt vor der Obrigkeit - und das, obwohl nur wenige Gästefans später in der Arena auszumachen sein würden. Nach einem Besuch der Fanshop-Kneipen-Mischung enterten wir unseren Block im supersteilen Oberrang direkt über den heimischen Ultras - hervorragender Blick aufs Spielfeld.

Den Rasen bespielten nur die heimischen Akteure beim Warm-up. "Tienen miedo", die haben Angst, witzelte ein Zuschauer über das Gästeteam. Es blieb bis kurz vor Anpfiff dabei, Cruyffs Schützlinge kamen nicht aus dem Tunnel. Die Aufmerksamkeit wurde auf das wahre Prachtexemplar eines prall belegten Bocadillos gelenkt, das zwei Männer auf einem bierbankgroßen Brett im Nachbarblock die Stufen hinauf schleppten. Unter dem Gelächter der Sonnenblumenkerne spuckenden Zuschauer versteht sich. Von einem Wettbewerb war die Rede, das größte Baguette würde prämiert werden, hieß es. Es konnte nur eines geben...

Klopapierbänder verhindern den Blick aufs Feld

Der Anpfiff rückte näher, die Spieler betraten den Rasen, waren jedoch kaum auszumachen in den ersten Momenten. Unzählige Rollen Klopapier segelten in den Nachthimmel und zogen sekundenlang ihre Bahnen. Als der Blick wieder frei war, saß nicht nur Cruyff bei Barça auf der Bank, sondern auch Koeman, sieben Jahre zuvor mit Holland Europameister in München geworden. Offenbar angeschlagen.

Atleti-Aficionados im Calderón

Das Klopapier versperrte die Sicht: Atleti-Aficionados im Estadio Vicente Calderón. imago images

Das Spiel war intensiv, nicht hochklassig. Die Gäste spielten zwar den gepflegteren Ball und Atletico war die angespannte Lage anzumerken. Doch in Sachen Engagement wiesen Kiko, Caminero & Co. ein spürbares Plus auf. Ich kann mich an keine klare Chance des bulgarischen Gästestars Stoichkov erinnern. Die Hausherren wiederum fielen durch Standards auf. Der brasilianische Innenverteidiger Rocha übernahm zweimal aus großer Distanz die Verantwortung und sorgte beide Mal sicherlich für glühende Fingerspitzen bei Barças Tormann Busquets.

Er gibt ihn nicht, er gibt ihn!

Brisanz dann kurz vor der Pause. Nach einem Steilpass der Colchoneros ließ Abelardo das Spielgerät einfach durchlaufen, Kiko marschierte mutterseelenallein aufs Tor zu und wurde von Busquets gestreckt. Schiedsrichter Diaz Vega zeigte Gelb und gab Freistoß, nicht nur Kiko konnte es nicht fassen, auch wir hatten in 120 Metern Entfernung die Fehlentscheidung natürlich ausgemacht. Der Assistent stimmte Diaz Vega um. Zwar blieb es bei Gelb, doch es gab den Strafstoß, den Rocha mit seinem Eisenfuß links versenkte. 1:0 zur Pause. Die Aufmerksamkeit galt wieder den Resten des Bocadillos nebenan.

Abschnitt zwei ist schnell erzählt. Schon fünf Minuten nach der Pause fabrizierten die Gäste fahrlässig einen weiteren Freistoß rund 25 Meter vor dem Tor. Sofort war klar, wer an diesem Abend schießen würde. Rocha vollstreckte mit derartiger Vehemenz ins rechte obere Eck, dass das Tornetz den ultimativen Härtetest seines Daseins in diesem Moment bestanden haben dürfte. Unter uns drängten die Ultras mit Macht nach vorne an den Zaun in Richtung Rocha, der sich zurecht feiern ließ. 2:0, von Barça kam bis auf einen späten Pfostenschuss nicht mehr viel, auch eine Ampelkarte gegen Atletico-Zehner Dobrowolski richtete keinen Schaden mehr an. Am Ende waren wichtige Punkte eingesackt und der Klassenerhalt ein gutes Stück greifbarer. Für Cruyff und seine Spieler fuhr der Zug allmählich ab, die Meisterschaft ging letztlich an Real.

Double im Jahr darauf - ohne Rocha

Im Jahr darauf wurde Atletico unter dem Serben Radomir Antic, Anfang April 2020 leider verstorben, Meister und holte in einer nahezu perfekten Saison zudem die Copa del Rey. Ohne Rocha übrigens, von dem ich vor diesem Spiel noch nie etwas gehört hatte - und danach auch nicht mehr. Er spielte nur diese eine Saison für die Rojiblancos und erzielte in 13 Liga-Einsätzen auch nur diese beiden Tore. Fünf Jahre später sollte der Brasilianer genau noch einen weiteren, seinen insgesamt sechsten Treffer im spanischen Oberhaus markieren, im Dress von CD Numancia.

Da hatte der Linksfuß ausgerechnet vor meinen Augen wohl das Spiel seines Lebens gemacht - und sicher auch einen kleinen Anteil daran, dass Atleti diese Saison unbeschadet überstand und im Jahr darauf gleich zwei Titel einfuhr. Und dass meine Sympathien fortan diesem spanischen Traditionsverein gehören.

Andi Holzmann

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