Mehr als eineinhalb Jahre ist es her, dass Robert Lewandowski zuletzt einen Elfmeter verschossen hat. Für Polen, bei einem großen Turnier. Bei der WM 2022 scheiterte der Angreifer im Gruppenspiel an Mexikos Keeper Guillermo Ochoa. Seitdem folgten zwei Treffer für Polen und sechs für den FC Barcelona. Schon wieder ein Fehlschuss auf der größten Bühne? Darum kam der ehemalige Münchner bei der EM 2024 gerade noch herum.
Zwar parierte Frankreichs Keeper Mike Maignan am Dienstag Lewandowskis Strafstoß in der 77. Minute, doch der Pole zeigte direkt mit dem Finger auf seinen Kontrahenten - und erhielt Gehör von Schiedsrichter Marco Guida. Der Italiener ließ die Ausführung wiederholen und gab Lewandowski die Gelegenheit, doch noch den Treffer zum 1:1-Endstand zu erzielen. Regeltechnisch war das völlig korrekt.
Unter Regel 14 "Strafstoß" ist im IFAB-Regelbuch unter dem Abschnitt "Ausführung" vermerkt: "Der Torhüter muss mit Blick zum Schützen auf der Torlinie zwischen den Torpfosten bleiben, bis der Ball mit dem Fuß gespielt wird." Und weiter, etwas später: "Wenn der Ball gespielt wird, muss sich der Torhüter mindestens mit einem Teil eines Fusses auf, über oder hinter der Torlinie befinden."
Maignan hatte - kurz bevor Lewandowski den Ball beim Schuss berührte - die Torlinie mit beiden Füßen verlassen. Allerdings wohl auch deshalb, weil er nicht damit gerechnet hatte, dass Lewandowski seinen Anlauf im letzten Moment noch ein zweites Mal verzögerte, was Maignans Timing offenbar über den Haufen warf.
Doch auch die Ausführung Lewandowskis, der bereits direkt zu Beginn seinen Anlauf einen erstes Mal verzögert hatte, bewegt sich im Bereich des Legalen. Unter dem Absatz Vergehen/Sanktionen schreibt das IFAB unter Regel 14 nämlich, dass ein Vergehen nur dann vorliegt, wenn der Schütze nach dem Anlaufen einen Schuss antäuscht. "Eine Finte während des Anlaufens ist zulässig", heißt es dort explizit.
Maignan beschwert sich über "die 87. Finte"
"Bis zu dem Zeitpunkt, an dem sein Standbein neben dem Ball steht, darf der Spieler fast alles machen, auch verzögern", sagte der ehemalige FIFA-Schiedsrichter Knut Kircher dem kicker. "Freilich darf er nicht rückwärts laufen oder Bewegungen machen, die als unsportlich bewertet werden können."
Lewandowski tat also nichts Unerlaubtes. Das stellte auch im Anschluss niemand in Abrede - und doch gab es Diskussionen und Unmutsbekundungen. So naturgemäß auch von Maignan selbst, der sich über die Regel an sich beschwerte. Auf Instagram teilte der Keeper der AC Mailand am Dienstag einen von ihm bereits 2023 verfassten Post, in dem er bitter-ironisch geschrieben hatte: "Neue Regeln des IFAB ab 2026: Der Torwart muss dem Schützen im Moment den Rücken zudrehen. Wenn er den Ball hält, gibt es indirekten Freistoß." Darüber ergänzte Maignan am Dienstag: "Während der Stürmer in seinem Anlauf die 87. Finte ausführt ..."