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Der Toni Kroos der Gegenwart: Alles erhalten, eines ergänzt

Wie - und wie gut - spielt der 34-Jährige bei Real Madrid?

Der Kroos der Gegenwart: Alles erhalten, eines ergänzt

Auch mit 34 noch einer der Besten seiner Zunft: Toni Kroos.

Auch mit 34 noch einer der Besten seiner Zunft: Toni Kroos. Getty Images (2), imago images

Blättert und wischt man sich durch Zeitungen und Kommentarspalten zu Inhalten rund um dieses Thema, das schon seit geraumer Zeit schwelte, ist die Rückkehr von Toni Kroos in die deutsche Nationalmannschaft eher nicht die erlösende Nachricht, die aus allen Himmelsrichtungen herbeigesehnt wurde.

Vielleicht liegt das an der seltsam gemischten Popularität des Weltmeisters von 2014 in seinem Heimatland, das er vor zehn Jahren gen Madrid verlassen hat. Vielleicht aber auch daran, dass andere Spielertypen als Kroos dem DFB-Kader Stand 2024 noch weitaus mehr abgingen und abgehen. Natürlich gibt es auch Bedenken, ob Bundestrainer Julian Nagelsmann den von seinem Vorgänger Hansi Flick zum Nationalmannschaftskapitän ernannten Ilkay Gündogan durch die Rückholaktion von Kroos nicht unnötig schwächt.

Denn wenn es darum geht, über wen das Spiel der deutschen Mannschaft bei der Heim-EM im Sommer laufen wird, kann es von Kroos und Gündogan womöglich nur einen geben. Zumindest einen, der ein bisschen über dem anderen steht. Allein deshalb schon, weil beide im zentralen Mittelfeld eigentlich lieber halblinks spielen. Was spricht für Kroos?

Ob Kroos spielt oder nicht, merkt man Real stets an

Es ist gut möglich, dass der 34-Jährige, auch in seinem gehobenen Fußballeralter, noch immer der beste Spieler ist, der über einen deutschen Pass verfügt. Wenigstens auf seiner Position. "Spiele von Real Madrid folgen immer dem Rhythmus von Toni Kroos", hat Casemiro vor ein paar Jahren mal gesagt. Der Brasilianer spielt längst in Manchester, am Einfluss des Deutschen auf das Angriffsspiel einer der besten europäischen Vereinsmannschaften hat sich allerdings nichts geändert.

Ob Kroos bei Real, wo Spielertypen mit ihren Eigenschaften durch gewünschten Individualismus besonders zur Geltung kommen, auf dem Platz steht oder nicht, das macht in der Regel einen Unterschied, der auffällt. In die Vorträge hochbegabter Einzelkönner, die durchaus ihren Instinkten folgen dürfen, bringt er die nötige Struktur. Als Real bei Rayo Vallecano zuletzt nur 1:1 spielte, war Kroos geschont und erst spät eingewechselt worden. Es war kein Zufall, dass die Madrilenen in einem Spiel patzten, in dem Kroos' Organisation fehlte.

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Diese besteht in erster Linie aus seinem Gefühl für das Spiel. Wenn man bei Real-Spielen nur auf ihn achtet, verblüfft es, wie regelmäßig er Entscheidungen trifft, durch die es der Passempfänger relativ einfach, durch die die gesamte Mannschaft einen Vorteil hat. Die dafür nötigen Ideen hat Kroos, auch wenn die Idee dann manchmal ein Querpass sein mag, nahezu immer. Und in der Regel auch die Courage, die mitunter mutigen Entscheidungen dann auch zu treffen. Kroos spielt viele Sicherheitspässe, weil er insgesamt viele Pässe spielt. Aber es spielt auch kaum einer mehr riskante Pässe als er.

Im Jahr 2024, knapp drei Jahre nach Kroos' Rücktritt aus der Nationalmannschaft in der Folge des EM-Ausscheidens im Sommer 2021 im Achtelfinale, hat sich an der Spielweise des Strategen wenig geändert. Die Risiken, die mit Kroos' Spiel einhergehen, sind ebenfalls bekannt. Gelegentlich spielt er, der auch unter Druck nahezu alles spielerisch lösen will, seine Mitspieler auch zu gewagt an. Er selbst könnte diese Situationen dann vielleicht bewältigen, in die er seine Kollegen in diesen Fällen bringt. Sie dann aber manchmal nicht.

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Kroos' Standards haben sich in den vergangenen Jahren wieder verbessert, Real Madrid ist nach ruhenden Bällen in dieser Saison brandgefährlich (neun Tore nach Standards sind Bestwert in La Liga). Der Rechtsfuß ist auch einer für direkte Freistöße.

Und das Spiel gegen den Ball? Schneller ist Kroos im Alter freilich nicht geworden, das Tempo bleibt für den Gestalter ein Thema. Eine Achillesferse. Aber einen Aspekt hat Kroos, der sich ansonsten alle Elemente seines Spiels erhalten hat, in seinem Arsenal ergänzt: die Zweikampfführung.

Das Defensivverhalten, jahrelang Kroos' größtes Fragezeichen, hat sich in den vergangenen beiden Spielzeiten merklich gebessert. Er zeigt eine erhöhte Bereitschaft, in direkte Duelle zu gehen, die er in der Vergangenheit möglicherweise mittrabend gescheut hätte. Und auch die Qualität seiner Zweikämpfe hat sich gebessert: In La Liga kommt Kroos im Schnitt auf knapp zwei erfolgreiche Tacklings pro Spiel - besser sind bei Real nur Eduardo Camavinga und Daniel Carvajal -, bei lediglich 0,5 Fouls.

In seiner aktuellen Vereins-Form ist und bleibt Kroos, weil es seine Stärken im Weltfußball so vielleicht kein zweites Mal gibt, Deutschlands wahrscheinlich bester Mittelfeldspieler, der sogar ein bisschen vielseitiger, weniger anfällig geworden ist. Zurzeit spielt er in Madrid auf einer Doppelsechs, zuvor war es in einem Dreier-Mittelfeld jahrelang die linke Acht. Manchmal auch die alleinige Sechs. Er macht das Spiel, verlagert es, kreiert Chancen, gewinnt Zweikämpfe. Das Tempo bleibt ein Problem, das durch seine defensive Bereitschaft, gepaart mit seiner Spielintelligenz, aber kleiner geworden ist.

All das, bei enorm konstantem Leistungsniveau, lässt sich zumindest über den Toni Kroos bei Real Madrid sagen, wo er auch schon glänzte, als er im Nationaltrikot zur gleichen Zeit verhältnismäßig wenig bewirkte. Ob es ab März, in der aktuellen Konstellation, zwischen dem fünfmaligen Champions-League-Sieger und dem DFB-Team funken und funktionieren kann, ist die Aufgabe von Bundestrainer Nagelsmann. Aber der wird sich vor seinem Anruf bei Kroos ja sicherlich etwas überlegt haben.

Niklas Baumgart

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